Translater:
Manfred Julius Müller:
Warum sperrt sich die Politik so vehement gegen die Abkoppelung vom globalen Dumpingsystem?
Etwa seit 1980 befindet sich Deutschland durch den Abbau von Zöllen in einem gnadenlosen globalen Wettbewerb. Seit dieser Zeit sinken trotz wachsender Produktivität die realen (preisbereinigten) Nettolöhne in Deutschland, weil das globale Lohn-, Sozial-, Öko- und Steuerdumping nun einmal eine Wohlstandsmehrung nicht zulässt.
Warum aber reagieren die Politiker nicht darauf, warum wird die eigentliche Ursache für das absurde Paradoxon (Kaufkraftverlust bei steigender Produktivität) nicht angegangen, warum wird nicht einmal darüber diskutiert?
Der beschwerliche Weg der Wahrheitsfindung
1.
Mangelnde wirtschaftliche Kenntnisse
In
einer globalen Welt werden die volkswirtschaftlichen
Zusammenhänge immer unübersichtlicher (auch dies ist als
Nachteil zu werten für die künstlich erzeugte
Globalisierung). Ich vermute, dass höchstens ein Dutzend der
über 600 Bundestagsabgeordneten zumindest in groben Zügen
die Mechanismen der Weltwirtschaft verstehen und ihre Abläufe
nachvollziehen können.
Dabei möchte ich unseren Volksvertretern bestimmt nicht
mangelnde Intelligenz unterstellen oder ihnen den guten Willen
absprechen. Die Aufgabengebiete der Bundestagsabgeordneten sind aber
leider so umfangreich und die Terminkalender dermaßen randvoll,
dass nur den wenigen Spezialisten Zeit bleibt für eine
ausgiebige Lagebeurteilung und Analyse.
2.
Den souveränen Abgeordneten gibt es nicht mehr!
Wegen
fehlender eigener Kenntnisse sind die MdB somit weitgehend auf die
Empfehlungen und Urteile ihrer Expertengremien angewiesen. Das
heißt im Normalfall: Die Parteispitze entscheidet und die
Abgeordneten ziehen mit. Eine Gewissensentscheidung eines einzelnen
MdB, wie sie im Grundgesetz ausdrücklich gefordert wird, kann in
der Praxis kaum noch stattfinden.
3.
Die Meinungsbildung der Expertengremien
Es
kommt also alles darauf an, wie sich die Fachexperten einer Partei
ihre Meinung bilden. Und hier liegt leider auch vieles im Argen.
Denn die mächtige Kapitallobby kennt diese Schwachstelle. Sie
weiß, auf welche Politiker sie ihre hochqualifizierten
Fürsprecher ansetzen muss. Zur Unterstützung dieses
gesteuerten Meinungsbildungsprozesses unterhält das
Großkapital nicht nur eigene "Institute", die unentwegt
kapitalfreundliche Studien fabrizieren - das Kapital verfügt
zudem auch noch über einen direkten Zugang zu den privaten
Medien (die befinden sich schließlich zu über 99 % im
Besitz des Kapitals).
Nicht einmal das Internet wird der freien Meinungsbildung überlassen - auch hier tummeln sich bereits zahlreiche vom Kapital finanzierte Websites und selbst über viele fremde politische Foren wachen vom Kapital angeheuerte professionelle Journalisten.
4.
Die Einflussnahme der Kapitallobby prägt die öffentliche
Meinung!
So
ist es dann auch kein Wunder, wenn in der Öffentlichkeit
ständig die Gefahren der Globalisierung und der EU verleugnet
oder verniedlicht werden. Man geht sogar so weit, einfach der
Spieß umzudrehen und Deutschland als größten
Nutznießer dieser fragwürdigen Kunstgebilde
(Globalisierung und EU) zu feiern. Untermauert werden die
heuchlerischen Thesen mit unseriösen Entstellungen. Beispiel:
"Wir sind doch Exportweltmeister". Mehr
dazu...
Es ist verständlich, dass die gesteuerte öffentliche Meinung auch die Fachexperten der Parteien beeinflusst. Denn gegen den Volkswillen bzw. gegen die Medienmeinung lässt sich Politik kaum umsetzen.
Die große Schwierigkeit, eingetretene Pfade zu verlassen
Wegen der oben aufgeführten Mechanismen bei der Meinungsbildung ist es für die Fachexperten der Parteien wirklich nicht einfach, zu einem neutralen und fachlich fundiertem Urteil zu finden. Aber leider gibt es noch eine zweite Hürde: Die Schwierigkeit, einen einmal eingeschlagenen Irrweg zu beenden und über viele Jahrzehnte geschürte Denkmuster und Vorurteile zu überwinden.
1.
Angst vor den Konsequenzen
Wenn
nun tatsächlich das Expertengremium einer Partei zu dem Schluss
kommen würde, die durch den Zollabbau ausgelöste
Globalisierung sei für unser Land ausgesprochen schädlich,
wird man dies kaum jemals offen eingestehen. Denn schließlich
bildet Deutschland das geografische Kernland der EU und es gibt
darüberhinaus eine Vielzahl internationaler Handelsabkommen.
Da kann und will man natürlich nicht einfach die Notbremse
ziehen und den verhängnisvollen Zollabbau wieder
rückgängig machen.
2.
Suche nach Ersatzlösungen
Also
versucht man, sich mit anderen Mitteln durchzumogeln und die Folgen
des Zollabbaus mit Ersatzreformen zu lindern. So landet die Politik
unversehens in Kostensenkungsprogrammen bzw. im Neoliberalismus: also
Abkoppelung der Löhne von der Produktivität,
Einschränkung des Sozialstaates, Senkung der Renten,
Diskriminierung der Arbeitslosen (Hartz IV) usw..
Parallel
hierzu werden die Uraltthemen aufgewärmt, man fordert zum
tausendsten Male eine
bessere Bildung,
mehr Forschung, Bürokratieabbau, Flexibilisierung (=
Verschlechterung) der Arbeitsbedingungen, Aufhebung des
Kündigungsschutzes, Senkung der Konzernsteuern und und und.
Alle hart erarbeiteten Errungenschaften aus den Boomzeiten vor der
Globalisierung kommen auf den Prüfstand, solange nur eine vage
Hoffnung besteht, die Folgen des Zollabbaus damit zu
mindern.
Begleitet
werden diese Notprogramme mit wohlfeilen Zurechtweisungen und
Belehrungen an die Bevölkerung ("uns geht es doch allen gut",
"jammern auf hohem Niveau", "der Aufschwung ist da", "wir müssen
um so vieles besser sein als wir teurer sind" usw.).
Die deutschen Lohnkosten sind, teilweise bedingt durch die hohen
Lebenshaltungskosten (weil wir auf protektionistisches
Währungsdumping verzichten), zehnmal höher als die
chinesischen. Es wird doch wohl niemand ernsthaft glauben, dass der
deutsche Ingenieur oder Arbeiter tatsächlich dem chinesischen
Kollegen geistig oder leistungsmäßig zehnfach
überlegen sein kann.
3.
Selbstbetrug
Was
macht ein Mensch, der in Gewissensnöten steckt und sich vor
einer unangenehmen Aufgabe drücken möchte? Richtig, er
redet sich die Sache schön!
Auf
den Zollabbau übertragen heißt das, er übernimmt die
scheinheiligen Gegenargumente der Globalisierungslobby und glaubt am
Ende sogar selbst noch an deren Richtigkeit. So funktioniert eben der
typische Selbstbetrug. Das ist bequem, man kann wieder ruhig schlafen
und erspart sich Ärger und Ungemach. Sollen sich doch andere die
Finger verbrennen, man selbst hat schließlich sein Bestes
getan.
Auch Schopenhauer meinte schon: "Was dem Herzen widerstrebt,
lässt der Kopf nicht ein".
Aufgeschoben
ist nicht aufgehoben!
Dass
unsere Volkswirtschaft auf Dauer niemals mit dem weltweit
grassierendem Lohn-, Sozial-, Öko- und Lohndumping mithalten
kann und unser vermeintlicher technologischer Vorsprung immer weiter
abschmilzt, kann ernsthaft kaum bezweifelt werden.
Deshalb wird man sich auch nicht ewig mit einer neoliberalen Politik durchwursteln können - irgendwann muss man Farbe bekennen und sich intensiv mit den unfairen Marktbedingungen und den Billigimporten auseinandersetzten.
Also wird man eines Tages doch in den sauren Apfel beißen, internationale Abkommen aufkündigen und wieder höhere Zölle erheben müssen (um den Totalausverkauf der Wirtschaft zu verhindern). Eine praktikable Alternative zu einer Zoll-Renaissance böte lediglich eine Lohnkostenreform (Finanzierung der Sozialversicherungen über die Mehrwertsteuer).
Weiterführende Abhandlungen zu überfälligen Kurskorrekturen finden Sie in meinen Büchern.
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Macht den Kosmopoliten?
Die
Ursachen der Weltwirtschaftskrisen 1873, 1929, 2008,
2020/22
Bücher
von Manfred J. Müller
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